Wie wir Politik machen wollen

11. May 2010

Ich bin vor gerade einmal wenigen Monaten der Piratenpartei beigetreten, da ich hier eine Chance für eine neue Art Politik zu machen sehe. Die stärkste Triebkraft, die ich in den letzten Monaten erlebt habe, war die Wut darauf, sich Gesetzen und Regulierungen zu unterwerfen, die in Missachtung realer Gegebenheiten gemacht werden. Es waren zwar konkrete Gesetze wie das Zugangserschwerungsgesetz oder die Vorratsdatenspeicherung, welche die Welle der Entrüstung ausgelöst haben, aber in einer Partei zusammengefunden haben wir uns nicht nur um diese konkreten Gesetze zu bekämpfen, sondern vor allem um eine neue Art Politik zu machen. Wie sehr das viele von uns beschäftigt lässt sich immer dann sehen, wenn Gespräche in der Partei auf Themen wie “abgehobene Vorstände”, AG-Räte oder Liquid Democracy kommen. Mit großem Eifer und vielen Emotionen ringen wir dabei um die Frage wie wir eigentlich Politik machen wollen. Und genau diese Frage nach der Art, auf die wir Politik machen wollen, halte ich für die zentrale Frage. Solange wir diese Frage nicht mit großem Konsens beantwortet haben, brauchen wir uns eigentlich keine Gedanken zu machen, ob und wann AKWs abgeschaltet werden sollen, ob wir ein BGE wollen oder wie wir zu anderen Fragen der “großen” Politik stehen. Die Glaubwürdigkeit der Piratenpartei hängt nicht in erster Linie davon ab welche Inhalte wir vertreten, sondern davon, wie wir zu diesen Positionen gelangen. Hauptkritikpunkt an den etablierten Parteien ist, dass die Art mit der sie Politik betreiben, die Interessenlagen der Lobbykundschaft über die Interessen der Bevölkerung stelle. Hier zu erwidern, wir seien basisdemokratisch oder piratig und damit würde soetwas nicht passieren, halte ich aus zwei Gründen für naiv.

Zum einen ist jeder Pirat in einem Amt oder in einer Funktion auch nur ein Mensch, der jederzeit mit Reizen wie Gier nach Erfolg, Geld oder Macht konfrontiert “schwach” werden kann und sich dann für andere Interessen einsetzt als die für die er angetreten ist. Das ist ein zutiefst menschlicher Konflikt, vor dem wir weder durch die Annahme, dass Piraten die besseren Menschen seien, noch allein durch inquisitorische Befragung von Kandidaten für Ämter und Listen geschützt sind. Hier müssen wir die von uns – unter anderen auch aus ähnlichen Gründen – für den Staat geforderte Transparenz auch auf alle innerparteilichen Entscheidungen und Entscheidungsträger beziehen. Je nachollziehbarer Entscheidungsprozesse werden, und je schwieriger die unbemerkte Einflussnahme dadurch wird, umso weniger Reiz zum Mißbrauch gibt es. Wir brauchen ein funktionierendes “Viele-Augen-Prinzip” um uns gegenseitig abzusichern.

Zum anderen müssen wir Prozesse schaffen, die auf jeder Ebene der Partei und auf jeder Stufe der Meinungsfindung allen Piraten alle eine Entscheidung betreffenden Informationen verfügbar machen und allen Piraten unmittelbare Partizipationsmöglichkeiten eröffnen. (Und damit ist nicht das Wiki gemeint!) Grundsatz hierbei muss die maximale Entfaltung des Indivuums in der Partei bei gleichen Chancen zur Teilhabe für jeden Piraten sein. Erst wenn wir diese Aufgaben gelöst haben, können wir tatsächlich glaubwürdig davon sprechen, dass wir Politik auf eine andere Art machen.

Konzepte von koordinierten themenbezogenen Arbeitsgruppen (1 Thema = 1 AG), bei denen die Mitarbeit an einem Thema nur innerhalb einer einzigen Gruppe stattfinden soll, beschränken die individuelle Entfaltung erheblich, da die unterschiedlichen von Piraten bevorzugten Arbeitsweisen keine Berücksichtigung finden, und sind daher abzulehnen.

Vielversprechender scheint mir der Ansatz, möglichst unregulierter freifließender Arbeitsgruppen (1 Thema = n AGs) zu sein, die es jederzeit jeder – sich freiwillig zusammenfindenden – Gruppe ermöglicht, sich mit einem von ihnen gewählten Thema auf die selbst gewählte Art auseinandersetzen. So kann sich jeder eine Umgebung schaffen, in der er sich frei entfalten und damit bestmöglich einbringen kann.

Die Ergebnisse dieser Gruppen können jedoch nicht aus sich heraus legitimiert sein, da diese Gruppen nicht die Basis repräsentieren. Diese Gruppen benötigen daher die Möglichkeit, eine Rückmeldung zu erhalten, wie “die Partei” über ihr Vorhaben denkt und ggf. auch verbindliche Entscheidungen.

Der Bundesparteitag ist zur Zeit das einzige basisdemokratische Element der Bundespartei. Nur auf diesem sind eine solche Rückmeldung und Entscheidungen zur Zeit möglich. Der individuelle Aufwand zur Teilnahme an einem Bundesparteitag ist jedoch hoch, die Zeit zu kurz, für inhaltliche Fragen kaum Platz. Dieses Mittel ist also alleine offensichtlich kaum geeignet diese Rückmeldungsfunktion und Entscheidungsfindung zu übernehmen. Vorgeschlagene Delegiertensysteme sind für diese Rückmeldungen ebenfalls nicht geeignet, da sie nur die Meinung der Delegierten feststellen können. Auch das Konzept der Urabstimmung wirft Fragen auf. Zum einen ist unklar wer die zur Abstimmung stehenden Fragen vorgibt und damit erheblichen Einfluss nimmt, wenn das Urabstimmungssystem nicht von einer beliebig großen Menge Abstimmungen überflutet werden soll. Zum anderen ist beim Einsatz von Computern eine gleichermaßen geheime wie überprüfbare Abstimmung nicht realisierbar, daher wären ausschließlich offene namentliche Abstimmungen umsetzbar. Vergleiche hierzu http://wahlcomputer.ccc.de/.

An dieser Stelle kommt nun LiquidFeedback ins Spiel. LiquidFeedback ermöglicht es jedem Piraten von ihm zusammen mit anderen oder auch alleine entwickelte Vorhaben allen anderen Piraten vorzustellen, Unterstützer zu finden, quantitatives Feedback sowie Anregungen einzuholen und somit eine Rückmeldung zu erhalten, wie “die Partei” über sein Vorhaben denkt. Während der Diskussionsphase von LiquidFeedback hat der Initiator die Möglichkeit aufgrund der Rückmeldungen und der durch die Initiative in der Partei ausgelösten Diskussionen sein Vorhaben weiter zu einer beschlußfähigen Vorlage zu entwickeln. Ebenso wird aber auch jedem anderen Piraten ermöglicht einen alternativen Vorschlag zu initiieren, der gleichberechtigt neben dem oder den bisherigen Vorschlägen zu diesem Thema in einen konstruktiven Wettbewerb tritt. Bei der Endabstimmung zu jedem Thema wird ermittelt, ob und welcher der konkurrierenden Vorschläge angenommen wird. Dadurch können Arbeitsgruppen und Piraten eine belastbare Grundlage für die Umsetzung ihrer Vorhaben erhalten.

Das Konzept fließender Arbeitsgruppen, die im Zusammenspiel mit LiquidFeedback eine direkte Rückmeldung durch die Basis erhalten können, ist der erste Schritt unserer Möglichkeit, ein eigenes politisches Spielfeld zu erschaffen, um unserer Idee, eine andere Art von Politik zu machen, näher zu kommen. Wir müssen uns jedoch jederzeit vor Augen halten, dass wir dabei auf nicht-kartographiertes Gebiet vordringen und niemand mit Sicherheit sagen kann, was uns dort erwarten wird. Wir werden Probleme zu lösen haben, die wir jetzt noch gar nicht kennen. Unsere Prozesse und Strukturen müssen auch in Zukunft fliessend neue Veränderungen aufnehmen. Den durch LiquidFeedback realisierten Möglichkeiten von Liquid Democracy müssen weitere folgen. Und: Wir müssen wachsam bleiben, neue Gefahren aber auch Möglichkeiten erkennen.

Ich bitte euch auf dem bevorstehenden Bundesparteitag, alle Anträge abzulehnen, die neue Organe, AG-Räte, Koordinierungskommisionen oder ähnliche, fließende Strukturen behindernde Elemente vorsehen.

Weiterhin bitte ich euch um eure Unterstützung für einen bundesweiten Betrieb von LiquidFeedback. (Antragsgruppe GRU-503, Antrag Z013).

Ich bedanke mich bei allen, die mir bis hierher gefolgt sind und mir bleibt mir nur noch ein mich prägendes Zitat wiederzugeben:

to boldly go where no man has gone before.

One Response to “Wie wir Politik machen wollen”

  1. Frank Says:

    Wie wollen die Piraten Politik machen? Die Antwort steht im Text. Um sich abzugrenzen braucht es Dezentralität. Das Meinungsbild ergibt sich aus der Summe der Einzelpositionen. Dazu bedarf es aufgeklärter Menschen, die ihren Standpunkt begründen können, Diskussionen führen und Argumente aufnehmen – wer bei jedem Zipperlein austritt, ist kein Pirat. In die Gegenseite hinein denken können, das ist wichtig. Doch am Ende wird es auf eines hinaus laufen. Wird einzelnen Personen hinterhergerannt und nicht mehr den Themen, dann sind die Piraten wie alle anderen Parteien. Piraten sollten ein Spiegel der Gesellschaft sein – und deshalb auch so arbeiten. Eine akzeptable Meinung wird ihre Vertreter finden, da braucht es niemanden, der sich dafür in einer Presseerklärung ausspricht. Piraten müssen sich entscheiden, ob sie gesteuert funktionieren wollen um Mandate und Fame zu erringen, oder ob sie eine Stütze und ein Spiegel für die Öffentliche Meinung sein wollen und deshalb niemals Politik “machen” sondern das Produkt von politischem Verhalten sein werden.


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